Auslegung der Jahreslosung 2021
Jesus Christus spricht: “Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!” (Luk. 6,36)
Liebe Schwestern und Brüder!
Bei der
Jahreslosung 2021 geht es um Barmherzigkeit. Was ist Barmherzigkeit, was heißt es, barmherzig zu sein? Nun könnten wir unsere Gedanken schweifen lassen, uns alles mögliche ausdenken,
was Barmherzigkeit sein könnte,
was Jesus wohl gemeint haben könnte
oder was wir Menschen heutzutage so alles unter Barmherzigkeit verstehen.
Aber zuerst gilt es, genauer hinzuhören bzw. genauer zu lesen, was dasteht.
1. Welche Bedeutung hat
das Wort “Barmherzigkeit” bzw. “barmherzig”?
Im griechischen Urtext des Neuen Testaments steht in Luk. 6,36 ein Wort, das bedeutet:
Mitleid haben mit jemand, der jammert und klagt oder in einem beklagenswerten, jämmerlichen
Zustand ist.
In der Beispielerzählung Jesu vom “barmherzigen Samariter” und im “Gleichnis vom verlorenen
Sohn” steht im griechischen Urtext ein Wort, das bedeutet: sich im Innersten berühren lassen, sich etwas zu Herzen gehen lassen.
2. Jesus nennt einen Maßstab für Barmherzigkeit: Gott selbst.
Was Barmherzigkeit ist, können wir erst dann erkennen und ermessen, wenn wir Gott kennen, Sein Verhalten gegenüber den Menschen betrachten.
Jesus sagt seinen Jüngern und damit allen,
die zu ihm gehören, daß Gott unser Vater ist, ein barmherziger Vater,
voller Liebe und Mitleid, und bestätigt damit, was schon im Alten Testament von Gott gesagt wird.
Gott geht mit uns Menschen sehr menschlich um, er geht auf uns ein! Gott ist nicht hart, sondern
mitleidig! Er ist nicht gefühllos, sondern empfindsam! Er läßt sich erweichen! Deshalb dürfen wir all unsere Hoffnung auf Ihn
setzen, mit Ihm reden, zu Ihm um Hilfe rufen. Jesus selbst hat seine Zuhörer immer wieder ermutigt, in aller Not zu Gott
zu flehen, mit Seiner Hilfe zu rechnen.
Die Barmherzigkeit Gottes besteht darin,
daß er die Menschen, die sich von Ihm getrennt haben, ohne Ihn ihre eigenen Wege gegangen sind
und dabei ins Elend geraten sind, sucht, sie heimholt, sie gern wieder bei sich aufnimmt, wenn sie zu Ihm kommen, ihnen vergibt und sie seine Kinder sein läßt.
Bitte das Gleichnis vom barmherzigen Vater und
den verlorenen Söhnen (Luk. 15,11-32), sonst allgemein bekannt als das
“Gleichnis vom verlorenen Sohn”, einmal ganz lesen! Es geht in diesem Gleichnis tatsächlich um zwei verlorene Söhne, vor allem aber um den Vater, der
gegenüber beiden barmherzig ist.
Der jüngere Bruder, der den Vater und seinen Bruder verläßt und in der Fremde ins Elend
gerät, um schließlich heimzukehren, steht für die Menschen, die ohne Gott ihr Glück suchen und schließlich zu der
Einsicht kommen, daß es besser ist, zu Gott umzukehren.
Der ältere Bruder steht für die vermeintlich Frommen
und Gehorsamen, die – oberflächlich betrachtet - treu und brav bei Gott geblieben sind,
die aber keine Freude an Gott haben, sich innerlich von Ihm
entfremdet haben und sich nicht für die interessieren, die draußen sind, sich erhaben fühlen
über die Sünder. Die lädt Jesus ein, mit Ihm die Verlorenen zu suchen, ihre Heimkehr zu
feiern und sie als Schwestern und Brüder anzunehmen.
3. Gottes Barmherzigkeit wird
sichtbar in Jesus Christus
Die Suche Gottes nach den Menschen,
die ihm verlorengegangen sind,
die Bereitschaft Gottes, Menschen anzunehmen, die lange ohne Ihn gelebt haben,
wird sichtbar in Jesus Christus, Seinem Sohn, durch den Gott selbst
spricht und handelt. Um die Menschen aus ihrer Entfremdung von Gott herauszuholen, um sie wieder mit Gott und Seiner Gemeinde zu
vereinen, ist der ewige Sohn Gottes Mensch geworden, ist uns unbegreiflich nahe gekommen, sichtbar und begreifbar geworden,
hat von Gottes Liebe geredet und sie in der Zuwendung zu Sündern, zu Verwirrten, Kranken und Armen gelebt.
Schließlich ist er willig den Weg zum Kreuz gegangen, um dort an unserer Statt den Tod eines Verlorenen zu sterben, und hat sein leben eingesetzt
als Sühnopfer für unsere Schuld.
Aber er ist auch auferstanden und zieht weiterhin Menschen in das neue Leben mit Gott, dem Vater, hinein.
4. Barmherzigkeit führt zu Taten!
Barmherzigkeit ist nicht nur ein Empfinden, sondern auch die Tat, die daraus
folgt, ein Verhalten, das auf die Bedürfnisse und Nöte
des anderen eingeht, die Not lindert, hilft und rettet.
Wie sehr
ist es uns ein Anliegen, Menschen, die fern sind von Gott und Seiner Gemeinde,
freundlich einzuladen, sie zurückzuführen zum Glauben, zum Leben mit Gott?
Müssen wir nicht bekennen, daß es uns an dem nötigen Eifer fehlt, daß wir der brennenden Liebe Gottes zu den
Menschen nicht gerecht werden, da wir selbst allzu oft nur um uns selbst kreisen?
Ist es nicht so, daß wir gern den Trost des Evangeliums für uns in Anspruch nehmen, Gott um Hilfe bitten in allen unseren Nöten, aber diesen Trost nicht im gleichen Maße unseren Mitmenschen
vermitteln? Lassen wir uns gern und mit Freude von Gott gebrauchen als Seine Mitarbeiter und Helfer?
Wie viel uns unsere Mitmenschen wert sind,
wie barmherzig wir selbst sind, erkennen wir daran, wieviel Rücksichtnahme, Verständnis, Hilfe, Zeit und Geld wir aufwenden für Menschen, die
uns brauchen. Wir sind dazu berufen, durch unser mitfühlendes, barmherziges Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen die Barmherzigkeit Gottes widerzuspiegeln!
Unmittelbar nach dem “Seid
barmherzig...” fährt Jesus fort (V. 37): “Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet, verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch
vergeben.” Damit nennt Jesus selbst praktische Beispiele dafür, wie sich
Barmherzigkeit zeigt. Mit dem “Richten” ist gemeint, daß wir
Menschen für immer abschreiben. Auch wenn es Menschen gibt, die verwirrt oder verdorben sind, sollen wir für sie beten, damit sie zurückfinden zu Gott, zur
Gerechtigkeit, zur Gemeinschaft, sollen offen bleiben für eine Versöhnung.
Mit dem “Verdammen” ist
gemeint, daß wir einem Menschen “den Tod an den Hals” wünschen, ihn verfluchen.
“Nein!”, sagt Jesus dazu; wir sollen zwar das Böse verhindern und Übeltätern
entgegentreten, aber den bösen Menschen wünschen,
daß sie zur Einsicht kommen, daß
sie zurückfinden auf den Weg Gottes, daß sie gerettet werden.
Und wenn jemand, der an uns schuldig geworden ist, ernsthaft um Vergebung bittet – dann sollen wir, da wir doch selbst von Gottes Vergebung
leben, Vergebung gewähren.
5. Was am Ende zählt
Auch am Ende, wenn wir alle vor Gottes Gericht stehen, dürfen wir fest mit Gottes Erbarmen rechnen. Er weiß zwar genau, was an uns und
unserem Leben nicht gelungen ist, aber wenn wir echte Reue empfinden über das, was nicht gut war, fragt Er nur nach einem: ob unser Herz Ihm gehörte und
gehört.
Alle unsere guten
Taten reichen nicht aus, um uns einen Platz im Himmel zu erobern,
aber auch das Versagen muß uns nicht bange machen: wenn Gott uns als Seine Kinder kennt, die an Ihm hängen, wird alles gut.
Und was ist mit den Menschen, die Gott nicht richtig kennenlernen konnten, die von Jesus nichts wußten oder wissen, die nicht zum Glauben
finden konnten, weil sie nur Zerrbilder von Gott oder Jesus vermittelt bekamen?
Die werden danach beurteilt, ob sie barmherzig
waren. So erzählt es Jesus in Matthäus 25,31-46. Und da werden auch die Taten der
Barmherzigkeit genannt, auf die es ankommt: Hungrige speisen,
Durstige tränken,
Fremdlinge
aufnehmen, Menschen, denen es an Kleidung fehlt, Kleidung
geben, Kranke besuchen,
Gefangene (ob schuldig oder unschuldig) im Gefängnis besuchen.
Hier
geht es zunächst um unsere allernächsten Mitmenschen. Wir können nicht über sie hinwegsehen und an ihnen vorbeigehen. Wir können nicht nur andere für zuständig erklären und uns selbst aus der
Verantwortung ziehen. Wir sind herausgefordert.
So wie in
der Geschichte vom barmherzigen Samariter (lies Luk. 10,25-32!): zwei hielten sich für nicht zuständig, aber einer half. Der barmherzige Samariter tat,
was die Not erforderte: er half dem Mann, der von Räubern zusammengeschlagen und ausgeraubt worden war. Er blieb
stehen und half ihm auf, er versorgte seine Wunden,
er setzte ihn auf das Reittier und ging selbst zu Fuß, er brachte ihn in eine Herberge,
bezahlte für den Mann, der nichts mehr hatte,
die Unterkunft und das Essen, und pflegte ihn.
6. Wer braucht unsere Hilfe?
Da sind einmal Menschen
in unserem Dorf, unserer Stadt, unserem Land, in Europa, aber auch andere, von deren Not wir hören.
Jedesmal können wir uns drücken - oder überlegen: Was kann ich tun? Wieviel könnte
ich spenden? Wofür könnte ich mich einsetzen, z.B. Informationsmaterial besorgen und verteilen? Es gibt
Einrichtungen und Hilfsorganisationen, die Menschen in Not helfen, kirchliche und nichtkirchliche.
Beispiele: Diakonisches Werk, Brot für die Welt, Open Doors (Hilfe für verfolgte Christen), Compassion, Kindernothilfe Duisburg, Blaues
Kreuz (Hilfe für Suchtkranke), das Rote Kreuz,
die von-Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, die Berliner Stadtmission (z.B. Hilfe für Obdachlose), Weihnachten im Schuhkarton
(Samaritan´s Purse), Christliche Fachkräfte International, die Freiwillige Feuerwehr, das
Technische Hilfswerk und vieles andere mehr...
Immer dran denken: über den fernen Nächsten nicht
die nächsten Mitmenschen vergessen! Und über den nächsten Mitmenschen nicht
die fernen Nächsten vergessen!
Jesus Christus spricht: “Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!”
(Luk. 6,36).
Mit herzlichem Gruß Friedemann Stinder