Liebe Gemeindeglieder, liebe Leser!
Still geworden ist es in diesen Wochen in unserem Land,
auf den Straßen und Wegen.
Nicht immer ist es auch still in den Wohnungen;
manchmal sind zu viele Familienangehörige beieinander,
ohne sich, wie sonst, für den halben Tag voneinander zu verabschieden, wenn es für den einen und den anderen in den Kindergarten, in die Schule oder zur Arbeitsstelle geht.
Da muß man auch einmal raus aus der Wohnung,
an die frische Luft, wo man sich bewegen und laufen
oder mit dem Rad fahren kann.
Jeder Mensch braucht einen Ort, wo er ganz bei sich sein kann, ohne sich mit anderen Menschen beschäftigen zu müssen, drinnen oder draußen.
Ist die Stille etwas, was uns helfen kann,
oder ist sie kaum zu ertragen?
Es gibt Menschen, die vor der Stille fliehen:
immer muß etwas los sein, immer müssen andere Menschen um uns herum sein, Stimmen und Töne.
Immer müssen Maschinen laufen, Autos sich bewegen,
Musik dröhnen.
Ist das nicht das wahre Leben, wenn etwas los ist?
Ist Stille nicht tödlich?
In Wahrheit brauchen wir Menschen beides:
einerseits die Stille, Zeit zur Besinnung, zum Atemholen – und andererseits das Gespräch, Geselligkeit,
Arbeit und Kampf.
Weisheit besteht darin, beides zu seinem Recht kommen
zu lassen. Beides bedingt sogar einander:
Das meint die alte Mönchsregel „Ora et labora!“, zu deutsch: „Bete und arbeite!“
Roger Schütz, der Begründer der Taize-Bewegung, sprach von „Kampf und Kontemplation“ und betonte damit
den Zusammenhang von Gottesbetrachtung und Handeln.
Es ist also gut, Zeit zu haben, sich Zeit zu nehmen
für die Stille, für die Beschäftigung mit Gottes Wort,
für das Gebet, für das Nachdenken über die Frage:
„Wo komme ich her? Was hat mich geprägt?
Was ist der Sinn meines Lebens?
Wozu bin ich von Gott berufen?
Welche Fähigkeiten und Begabungen hat Gott mir gegeben und wie kann ich sie besser entfalten?
Bin ich auf dem rechten Weg?
Was hindert mich daran, meinen Weg mit Gott und im Geist der Liebe zu gehen? Was könnte ich besser machen?“
Vor einiger Zeit besuchte jemand unseren Gottesdienst,
den ich noch nicht kannte; ich fragte ihn, wer er sei
und woher er komme.
Er sagte nichts und holte stattdessen einen Zettel
aus der Tasche, auf dem geschrieben stand:
„Ich bin im Schweigen.“ Er hatte sich eine Auszeit
im „Haus der Stille“ bei uns in Rengsdorf genommen.
Manche fragen sich vielleicht: „Was soll das?
Wie kann man zwei Wochen lang schweigen?“
Ich denke, es kann befreiend sein,
endlich mal herauszukommen aus dem Zwang,
immer von sich etwas erzählen zu müssen,
immer etwas beitragen zu müssen,
immer etwas erklären zu müssen,
immer andere belehren zu müssen…
Vielleicht spricht man nach einer Zeit des Nachdenkens
und der Besinnung behutsamer, vielleicht überlegt man mehr, was man wem wie sagt, ob man überhaupt zu allem
etwas sagen muß. Und wenn es nötig ist zu reden,
dann vielleicht auch mit mehr Nachdruck!
Wer vor Gott still sein kann und sich sein Herz füllen läßt
mit dem Evangelium von der großen Liebe Gottes
in Jesus Christus,
der kann und will nicht mehr gehässig und böse reden
und hetzen, sondern wird seine Stimme erheben,
um Frieden zu stiften,
Schwache in Schutz zu nehmen
und Gerechtigkeit zu fordern.
Auch die Kirche insgesamt lebt von der Stille,
vom Beten mit Danken und Flehen,
von der Orientierung und der Kraft,
die aus dem demütigen Hören
auf Gottes Wort und Gebot erwächst –
oder sie läuft sich in geistloser Geselligkeit
und selbstherrlichem Aktionismus tot.
Es gilt also, ein Gleichgewicht zu finden
zwischen Stille und Reden, Ruhe und Geschäftigkeit, Besinnung und dem rechten Handeln.
Ich denke, daß Räume der Stille einen hohen Wert
für unser Leben und für unsere Gesellschaft haben.
Das kann der Wald sein, das kann aber auch
ein „Haus der Stille“ oder eine offene Kirche sein.
Ich wundere mich darüber, daß unsere Kirche in Rengsdorf, die normalerweise vom Frühjahr bis zum Herbst samstags
für Besucher geöffnet ist, so wenig als Raum der Stille
genutzt wird.
Viele Friedhofsbesucher laufen geschäftig
an der offenen Tür vorbei,
doch nur wenige gönnen sich ein paar Minuten Zeit,
um die Stille zu genießen
und im Blick auf das Kreuz, den Taufstein,
den Abendmahlstisch an Höheres zu denken
als den Alltagskram.
In der Natur können empfindsame Menschen zwar den Schöpfer ahnen, aber im Gottesdienst erklingt Sein Wort, die Botschaft von Jesus Christus,
dort empfangen wir Wegweisung
und lernen Barmherzigkeit und Recht,
dort erleben wir die Gemeinschaft
der Hörenden und Lernenden.
Der Sonntag ist von Gott für uns geschaffen
und uns geschenkt als Tag der Besinnung auf Ihn,
den großen Liebhaber des Lebens, unseren Trost und Halt.
Der Sonntag kann und soll ein Tag
des Hörens auf Gottes Wort sein,
ein Tag der Gemeinschaft mit den anderen Gläubigen.
Nun, da unsere Kirchen geschlossen sind und die Gottesdienste ausfallen, empfinden treue Gottesdienstbesucher einen tiefen Schmerz, einen schweren Verlust.
Wir sehnen uns danach, wieder unsere Gottesdienste feiern zu können.
Es wäre schön, wenn weitere nachdenkliche und fragende Mitmenschen dazukämen und sich einließen
auf den fruchtbaren Wechsel von Stille und Reden,
Ruhe und Geschäftigkeit, Besinnung und Handeln,
Hören auf Gottes Wort und Tun des Guten.
Es gilt auch, Widerstand zu leisten gegen alle Versuche,
den Sonntagsschutz in unserem Land auszuhöhlen.
Das Kaufen und Verkaufen, Arbeiten und Geldverdienen haben ihr Recht – aber Konsum und Profit dürfen nicht
zu Götzen werden, die das gesamte Denken und Leben beherrschen und auch noch den Sonntag auffressen.
Ich wünsche uns allen den Mut zur Stille, Kraft aus der Stille und der Besinnung, neue Freude am Gottesdienst,
Gottes Geist und Segen –
damit wir umso besser die Herausforderungen des Lebens annehmen und bestehen können.
Mit herzlichem Gruß
Ihr Pastor Stinder
Evangelische Kirchengemeinde
Pfarrer-Knappmann-Straße 7
56579 Rengsdorf
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